
MERZIG | Es war ein trauriger Tag am Montag in Merzig, Tränen flossen, andere unterdrückten ihre Wut, hörten mit versteinerten Gesichtern zu. Auf der zweistündigen Betriebsversammlung des Keramik-Herstellers V&B Fliesen führte die Geschäftsführung den mehr als 200 Beschäftigten des Fliesenwerks Merzig erneut vor Augen, „dass sie kurz davor stehen, einen wichtigen Teil ihrer Existenz zu verlieren, nämlich ihren Arbeitsplatz“. Das sagte Uwe François, Betriebsratsvorsitzender von V&B Fliesen, nach der Versammlung. „Bei diesem Unternehmen zu arbeiten – vor allem, als es noch zu Villeroy & Boch gehörte –, war immer mehr als ein Job, es war unser Leben.“ Aus und vorbei – nach 143 Jahren Fliesenwerk Merzig.
V&B Fliesen hatte in der vergangenen Woche beschlossen, das Werk bis Ende des Jahres zu schließen (wir berichteten). Die Fertigung wird in das Stammwerk der Eczacibasi-Gruppe in die Türkei verlegt, zu der V&B Fliesen seit 15 Jahren mehrheitlich gehört. Das Unternehmen begründete die Entscheidung mit „extrem hohen Kosten“ für Energie oder Rohstoffe „sowie das hohe Lohnniveau in Deutschland“. Dies mache die Produktion von Fliesen wirtschaftlich unattraktiv.
François konterte: „Seit Jahren wurde nur gespart und die Fliesenproduktion zurückgefahren. Niemand kümmerte sich um ein Überlebenskonzept.“ Das letzte Aufbäumen gegen den Niedergang habe 2011 stattgefunden, „als die Kapazitäten zum letzten Mal hochgefahren wurden“. Damals „hatte V&B Fliesen noch 700 Beschäftigte, und die Fertigung wurde von 3,5 auf 4,2 Millionen Quadratmeter Fliesen erweitert“. In einem „Hochlohn-Land wie Deutschland kann man als Fliesenhersteller nur überleben, wenn man seine Fertigungskapazitäten ausschöpft“, ist François überzeugt. Diese zu reduzieren, „war der entscheidende Fehler“. Diesem Missmut habe auf der Betriebsversammlung auch die Firmenleitung zu spüren bekommen. Als Geschäftsführer Jörg Schwall seine Rede beendet hatte, „kam nichts, es herrschte Grabesstille“.
Für den Merziger Bürgermeister Marcus Hoffeld (CDU) ist jetzt „das vorrangige Ziel, für möglichst viele Mitarbeiter von V&B Fliesen schnell einen neuen Arbeitsplatz zu finden“. Mit dem Wirtschaftsrat der Stadt will er potenzielle Unternehmen kontaktieren und anfragen, was möglich ist. Weitere Maßnahmen sollen an einem Runden Tisch besprochen werden, an dem Hoffeld, Arbeits-Staatssekretärin Bettina Altesleben (SPD) und Vertreter der Geschäftsführung sowie des Betriebsrats teilnehmen. Das Treffen findet am 22. Juli statt.
Am Donnerstag trifft sich auf Antrag der CDU-Fraktion der Wirtschaftsausschuss des Landtags zu einer Sondersitzung. „Wir müssen darüber reden, wie wir die Rahmenbedingungen gestalten können, um das Wirtschaftsklima für die Unternehmen im Land zu verbessern“, so der stellvertretende Ausschuss-Vorsitzende Bernd Wegner (CDU). Die Arbeitskammer Saar fordert, die Mitbestimmung auszuweiten, um solche Schließungsentscheidungen zu erschweren. „Die Landesregierung muss alles dafür tut, damit Belegschaften aktiv Einfluss auf unternehmerische Entscheidungen nehmen können“, sagt Kammer-Hauptgeschäftsführer Thomas Otto.
Autor: LOTHAR WARSCHEID
erschienen am 12.07.2022 Seite B3
Quelle:
https://e-paper.saarbruecker-zeitung.de/webreader-v3/index.html#/988093/10-11
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