Unklar, ob Ford bis 2025 im Land bleibt

21.07.2022

Nach dem Auftritt des Vize-Präsidenten von Ford-Europa, Kieran Cahill, im Wirtschaftsausschuss des saarländischen Landtages geht Ausschuss-Mitglied Timo Ahr davon aus, dass das Ford-Management den Standort Saarlouis nur noch abwickeln will.

SAARBRÜCKEN/SAARLOUIS | Das hat man im saarländischen Landtag so wohl noch nie erlebt. Nicht einmal auf dem Höhepunkt des Bergbau-Endes vor zehn Jahren. Am Mittwochvormittag nimmt das Drama seinen Lauf. Das Saarland blickt gespannt auf den Auftritt des Ford-Managers Kieran Cahill im saarländischen Landtag. Erstmals seit dem von Ford-Europa-Chef Stuart Rowley verkündeten Aus für das Werk Saarlouis als Produktionsstandort für Fahrzeuge nach über 50 Jahren lässt sich überhaupt ein Manager aus der Führungsebene blicken, um den Parlamentariern als oberste Vertretung der Saarländerinnen und Saarländer im Ausschuss Rede und Antwort zu stehen.

Doch schon bei seinem Eintreffen wird klar, wohin die Reise geht. Die Reporter würdigt er keines Blickes, geht grußlos vorbei. Noch bevor sich die Türen hinter den Mitgliedern des Wirtschafts-Ausschusses schließen, erklärt der Manager jedoch eindeutig: „No statements today“.

Schlimmste Befürchtungen bestätigen sich dann am Ende der fast dreistündigen Sitzung. Ausschuss-Mitglied Timo Ahr (SPD) bestätigt gegenüber der Saarbrücker Zeitung, dass der Ford-Manager trotz mehrfacher Nachfrage nicht einmal garantiert habe, dass in Saarlouis überhaupt noch bis zum Jahr 2025 Autos gebaut werden. „Nicht einmal das hat das Ford-Management heute definitiv bestätigt“, sagt Ahr. „Das ist schon sehr dramatisch. Selbst in diesem Punkt haben sie keine Entscheidung getroffen. Deshalb ist das für die betroffenen Menschen bei Ford eine Katastrophe“, so Ahr. Es habe sich auch nach drei Stunden Sitzung der Eindruck aufgedrängt, dass Ford nichts anderes mehr im Sinn habe, als den Standort Saarlouis abzuwickeln.

Die Situation spitzt sich unterdessen von Tag zu Tag mehr zu. Kein einziger Beschäftigter bei Ford weiß, ob und wie es für ihn weitergeht. „Wir haben im Ausschuss von Anfang an klargemacht, dass es jetzt nicht mehr damit getan ist, einfach ein paar unverbindliche Phrasen rauszuhauen, sondern wir brauchen eine klare Beschäftigungsperspektive. Die ist jedoch auch heute aus den Gesprächen mit Ford nicht hervorgegangen.“ Lediglich für ein paar hundert Beschäftigte gebe es möglicherweise eine Perspektive, habe der Ford-Manager in Aussicht gestellt, ohne auch nur in geringsten Details konkret zu werden. „Damit geben wir uns aber nicht zufrieden. Ford trägt die Verantwortung für mehrere tausend Beschäftigte im Werk und im benachbarten Zuliefer-Park.“

Cahill habe im Ausschuss betont, Ford wolle zum Pionier für Elektromobilität werden. „Ich habe ihm in meinem Statement zu verstehen gegeben, dass Ford zum Pionier für den unmenschlichsten Bieterwettbewerb in der Geschichte des Saarlandes wird. Das ganze Gespräch im Ausschuss war unzufriedenstellend. Es wurden keinerlei Informationen erläutert. Das hat am Ende dazu geführt, dass wir noch verärgerter aus der Sitzung herausgegangen sind, als wir reinkamen.“

So richtig sauer wird Ahr, als er schildert, dass „Teile des Angebotes, das die Ford-Belegschaft, der Betriebsrat, die IG Metall und die Landesregierung gegenüber Ford gemacht haben, überhaupt nicht berücksichtigt wurden“. Das betreffe zum Beispiel das Angebot des Landes, die Ford-Fläche in Saarlouis zu kaufen. „Es war klar zu erkennen, dass die Argumente, die für Ford-Saarlouis gesprochen haben, für die Ford-Spitze nicht die größte Rolle gespielt haben.“ Dennoch verteidigt Ahr auch im Rückblick die Reise von Ministerpräsidentin Anke Rehlinger (SPD) und Wirtschaftsminister Jürgen Barke (SPD) nach Dearborn, um der Ford-Spitze die Einzelheiten des saarländischen Angebotes zu erläutern. „Wir haben die Frage nach der Wirkung dieser Reise ganz klar gestellt. Und dazu ist im Ausschuss gesagt worden, man habe in Dearborn noch offene Fragen zu dem Angebot gehabt. Und man habe sich dann auch dieser Fragen angenommen. Das habe dann auch dazu geführt, dass Ford noch einmal ein Führungsteam von Analytikern an die Saar geschickt hat, um sich das noch einmal genauer anzuschauen. Und trotzdem wurde das Angebot am Ende nicht komplett in die Kalkulation eingefügt“, sagt Ahr. Auch neutrale Gutachten habe die Ford-Spitze abgelehnt.

Bei Ahr hat sich nach der Ausschuss-Sitzung der Eindruck aufgedrängt, „dass sich die Ford-Spitze schon vor dem aufgezwungenen Bieterwettbewerb zwischen Saarlouis und Valencia keine Gedanken darüber gemacht hat, wie es weitergehen könnte. Damit wollen sie jetzt erst anfangen.“ Cahill selbst habe eingeräumt, „dass der Bieterwettbewerb bis zum Ende komplett offen war.“ Und man sich erst jetzt Gedanken darüber mache, was mit dem Standort passiert, der im Wettstreit unterlegen ist. Für Ford sei das Bieterverfahren laut Management normal gewesen. „Das war es aber nicht. Die Belegschaft von Saarlouis hat sich bis aufs Hemd ausgezogen und auch der Betriebsrat sowie die IG Metall haben alles gegeben. Jetzt gehen die Beschäftigten im Werk und im benachbarten Zuliefer-Park in den Werksurlaub. Ich halte das für eine Frechheit, den Leuten nichts Konkretes zu sagen.“

Den gesamten Auftritt des Ford-Managements im Wirtschaftsausschuss bezeichnet Ahr als „historischen Skandal im saarländischen Landtag“. Es sei am Ende nur herausgekommen, „dass Ford kein Geschäftsmodell für Saarlouis hat. Es wurde auch kein Zeitplan genannt.“ Die Saar-Politik müsse jetzt parteiübergreifend alles dafür tun, dass die Menschen bei Ford auch über 2025 hinaus eine Perspektive haben. Landesregierung, Ford-Betriebsrat, IG Metall, die Ford-Beschäftigten und alle interessierten Saarländer sollten gemeinsam Druck aufbauen, „damit die Beschäftigten auch künftig einen Job haben: ob mit oder ohne Ford“, sagt Ahr. Das Land müsse darüber hinaus die von Ford gebildete Task-Force mit aktiven Vorschlägen unterstützen.

Die Bilanz der CDU im Ausschuss fällt ebenfalls ernüchternd aus. Marc Speicher fragt jetzt an die Adresse der Landesregierung, wieso Wirtschaftsminister Jürgen Barke (SPD) kurz vor der Verkündung der Entscheidung durch Ford noch unangebrachten Optimismus verbreitet und damit bei den Beschäftigten falsche Hoffnungen geweckt habe. „Das war eine historische Fehlannahme. Tausende Menschen haben daraus Hoffnung geschöpft“, so Speicher. „Wir haben den Ford-Manager auch dazu aufgefordert, vor der Öffentlichkeit Position zu beziehen. Das Unternehmen ist immer noch der zweitgrößte Arbeitgeber und hat eine Verpflichtung gegenüber dem gesamten Land sowie Tausenden von Menschen“, betont Speicher. „Unsere Forderung ist, dass Ford und die Landesregierung schnell tragbare Lösungen finden. Mein Eindruck aus der heutigen Sitzung ist allerdings, dass Ford nicht wirklich noch Interesse an diesem Standort hat.“

Deshalb müsse die Landesregierung jetzt auch Alternativpläne verfolgen und auch nach anderen Investoren für den Standort Saarlouis suchen. „Das Ford-Gelände ist ein Filetstück. In unmittelbarer Nachbarschaft zum achtgrößten Hafen Deutschlands. Wir können einen Gleisanschluss und zwei Autobahnen bieten. Und wir haben Bau-, und Planungsrecht für Industrie und Gewerbe. Das alles und die Arbeitsplätze sind zu wertvoll, um uns länger von Ford hinhalten zu lassen“, sagt Speicher.

Auch der Betriebsrat von Ford kann sich inzwischen einen Neuanfang mit einem anderen Investor vorstellen, will aber das Ford-Management nicht aus der Verantwortung für Tausende Mitarbeiter entlassen. Deshalb weigert er sich bisher auch, sich an der vom Ford-Europa-Management eingerichteten Task-Force zu beteiligen, die Lösungen für den Standort finden soll. Die Lage spitzt sich auch deshalb weiter zu, weil sich der Betriebsrat zugleich weigert, Abfindungs- und Sozialplänen zuzustimmen, so lange das Management nicht klare Kante zeigt. Allerdings wollen im Werk wohl offensichtlich immer mehr Menschen gehen.

Autor: VON THOMAS SPONTICCIA, SAARBRÜCKER ZEITUNG
erschienen am 21.07.2022 Seite  B1

Quelle:
https://e-paper.saarbruecker-zeitung.de/webreader-v3/index.html#/988459/10-11