Seit Mittwochmittag herrscht Klarheit: Nicht in Saarlouis, sondern in Valencia will der Ford-Konzern künftig sein neues E-Auto bauen lassen. Der Ärger auf das Ford-Management ist im Saarland entsprechend groß. Bereits vor der offiziellen Verkündung der Entscheidung hat der Saar-Landtag harsche Kritik an dem Ford-Management geübt. Nun, da die Entscheidung gefallen ist, sprechen Ministerpräsidentin Anke Rehlinger und Wirtschaftsminister Jürgen Barke (beide SPD) von einer "Farce", die Betriebsräte von Ford Deutschland und Saarlouis von einem "Scheinverfahren" und "abgekartetem Spiel", und der Leiter des IG Metall-Berzirks Mitte wirft Ford Wortbruch vor.
"HÄSSLICHSTE SEITE EINES PROFITGETRIEBENEN KONZERNS"
Die Arbeitskammer des Saarlandes bewertet die Entscheidung gegen Saarlouis indes als einen "Einschnitt für das Land". Deutliche Worte in Richtung des Ford-Managements findet der Vorstandsvorsitzende Jörg Caspar: „Was wir hier erleben müssen ist die hässlichste Seite eines profitgetriebenen Konzerns, der jetzt einerseits in Spanien steuerfinanzierte Rosinen abgreift, um seinen Gewinnchancen zu erhöhen, und sich auf der anderen Seite an der Saar aus seiner regionalpolitischen Verantwortung stiehlt."
Arbeitnehmervertreter, Industrieverbände und Arbeitskammer im Saarland haben mit Bestürzung auf die Entscheidung des Ford-Managements reagiert, das neue E-Auto-Modell ab 2025 im spanischen Valencia zu bauen. Auch der Präsident des Verbands der Metall- und Elektroindustrie des Saarlandes, Oswald Bubel, redet von einem "harten Schlag für den Automobilstandort Saarland" und "eine große Enttäuschung" für alle Beteiligten. Bubel betonte, die Beschäftigten und die Landesregierung hätten großen Einsatz für den Bestand des Werkes gezeigt. Allerdings müsse die Politik nun stärker darauf hinarbeiten, die Industriebasis im Land zu verbreitern.
IHK-Hauptgeschäftsführer Frank Thomé sagte, Ford müsse schnell verbindliche Pläne für die Zukunft der Beschäftigten entwickeln. Allerdings, so Thomé, wäre auch ein Zuschlag für das neue E-Auto mit einem Job-Abbau bei Ford verbunden gewesen. Der Ford-Konzern hat sich im internen Bieterwettstreit zwischen Saarlouis und Valencia für das Werk in Spanien entschieden. Nicht nur die Entscheidung selbst ist bitter, sondern auch die Art, wie sie zustande gekommen ist, kommentiert SR-Wirtschafts-Chef Wolfgang Wirtz-Nentwig.
Zu einem "kühlen Kopf" rät aller Entrüstung zum Trotz der Chef des Verbandes autoregion e.V., Armin Gehl: "Wir müssen uns jetzt Alternativen überlegen, was mit diesem Standort ab 2026 passieren soll." Denkbar sei etwa ein Recycling-Zentrum für Fahrzeuge unter Einbindung von Ford. "Jetzt sind kreative Lösungen gefragt, es darf keine Denkverbote geben, und schnelles Handeln ist angesagt".
"KATASTROPHE FÜR STADT, REGION, LAND"
Peter Demmer (SPD), Oberbürgermeister von Saarlouis, zeigte sich im Interview mit dem SR "zutiefst enttäuscht und wütend". Die Entscheidung gegen Ford Saarlouis sei "ein Schlag ins Gesicht der Menschen, die so lange gebangt und gehofft haben". Bangen, schlaflose Nächte, Sorgenfalten: schlimme Wochen und Monate liegen hinter der Belegschaft von Ford in Saarlouis. Und jetzt kam sie, die schlechte Nachricht aus Spanien. Das Ford-Werk in Valencia bekommt den Zuschlag für den Bau zweier E-Automodelle. Saarlouis könnte demnach komplett leer ausgehen. Der Saarlouiser OB Peter Demmer sprach im SR-Interview von "einer Katastrophe".
KRITIK AN LANDESREGIERUNG
Der saarländische Bundestagsabgeordnete Oliver Luksic (FDP) greift derweil die Landesregierung an. Nach solch langwierigen Gesprächen keinen klaren Plan B in der Tasche zu haben, sei seinen Angaben nach "erschreckend". "Wieso die Landesregierung ohne Konzept und ohne klaren Zusagen von Ford scheinbar um die 500 Millionen Euro Steuergeld ins Schaufenster stellt, ist abenteuerlich." Die zuletzt verkündete Hoffnung des Wirtschaftsministers Barke, die Nase im Bieterprozess mit Valencia "vorne zu haben", sei "offensichtlich nicht nur falsch und fragwürdig gegenüber der Belegschaft" gewesen, sondern zeugt laut Luksic außerdem von "Planlosigkeit der politischen SPD-Landesregierung."
REHLINGER JETZT IN DER PFLICHT
Die Linken nannten die Entscheidung einen Schlag ins Gesicht der Beschäftigten, warfen aber auch Ministerpräsidentin Rehlinger Versäumnisse vor. Sie habe als langjährige Wirtschaftsministerin Vorsorge treffen und die Produktion anderer Industrieprodukte am Automobilstandort Saarlouis anregen müssen.
Der AfD-Bundestagsabgeordnete Christian Wirth sieht im Aus für Ford-Saarlouis die Konsequenz einer Verteufelung des Verbrennermotors, die "für den Verlust hunderttausender Arbeitsplätze" verantwortlich sei. Die Folgen für die vielen Zuliefererbetriebe im Saarland seien in vollem Umfang noch gar nicht absehbar, aber auch hier müsse man "auf weitere Schock-Meldungen gefasst sein".
Die Grünen äußerten ihr Bedauern. Die Entscheidung gegen Saarlouis sei aber auch ein Weckruf, dass man sich nicht auf einen allmählichen Strukturwandel mit weichen Übergängen verlassen könne, so die beiden Vorsitzenden Uta Sullenberger und Ralph Nonninger. Dabei könne man auch die für den Erhalt des Werks in Saarlouis vorgesehenen finanziellen Mittel verwenden. Rehlinger habe jetzt keine Ausreden mehr.
Autor: SR Online-Redaktion
erschienen am 22.06.2022 | 16:00 Uhr
Quelle:
https://www.sr.de/sr/home/nachrichten/politik_wirtschaft/reaktionen_auf_entscheidung_von_ford_zu_saarlouis_100.html
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