Einstieg in Elektromobilität

02.09.2022

ZF Saarbrücken steht vor großen Veränderungen – mit Folgen für Mitarbeiter

Betriebsrat des Getriebeherstellers ZF in Saarbrücken geht zum jetzigen Zeitpunkt davon aus, dass der saarländische Standort auf Dauer erhalten bleibt. Allerdings müsse das Unternehmen auf dem Sprung in das Zeitalter der Elektromobilität „auch weiterhin um neue Aufträge kämpfen“, fordert Betriebsratschef Mario Kläs im Gespräch mit der Saarbrücker Zeitung. Auf diesem hart umkämpften neuen Markt tummelten sich bereits eine ganze Reihe von Autoherstellern und Zulieferern. Da müsse man an der Spitze der Bewegung sein, sagen Kläs, sein Stellvertreter Patrik Buchholz und Patrick Selzer als erster Bevollmächtigter der IG Metall in Saarbrücken. Kläs ist der Meinung, dass ZF mit seiner jahrzehntelangen Erfahrung als renommierter Getriebehersteller bei den Stammkunden weltweit gute Karten hat. Es müssten jedoch auch neue Kunden hinzugewonnen werden, um die Produktion in Saarbrücken auf Dauer auszulasten.

„SAARBRÜCKEN IST MOMENTAN SEHR GUT AUSGELASTET“

Gegenwärtig ist das Werk noch mit seinen Acht-Gang-Automatik-Getrieben nach den Worten des Betriebsrates voll ausgelastet. Um die hohe Nachfrage auch bewältigen zu können, sollen 1000 Beschäftigte zumindest befristet eingestellt werden. „Saarbrücken ist momentan sehr gut ausgelastet“, sagt Kläs. In einem guten Produktionsmonat verlassen üblicherweise mehr als 200 000 Getriebe das Werk an der Goldenen Bremm.

Dennoch komme der weitere Erfolg nicht automatisch. Der Einstieg in die Elektromobilität bringe auch für das ZF-Werk in Saarbrücken noch viele Fragezeichen mit sich. Deshalb habe der Betriebsrat auch frühzeitig Druck gemacht gegenüber der Standortleitung und dem Konzern, um sich rechtzeitig für die großen Veränderungen neu aufzustellen. Eine erste gute Grundlage dafür sieht Kläs in der nach schwierigen zweieinhalbjährigen Verhandlungen abgeschlossenen Zukunftsvereinbarung. Sie besagt, dass bis Ende 2025 betriebsbedingte Kündigungen ausgeschlossen sind. Dies konnte erreicht werden, weil es in den Verhandlungen gelang, 8HP-Getriebe in Saarbrücken zu konsolidieren.

Ursprünglich verfolgte die Unternehmensleitung einen anderen Kurs. „Dann würden wir uns hier und heute über Personalabbau statt Personalaufbau unterhalten. Ein Planungsszenario im Jahr 2019 war, insgesamt rund 2000 Beschäftigte abbauen zu wollen“, so Gewerkschafter Selzer. Derzeit arbeiten am Saarbrücker Standort über 9000 Menschen.

Nun habe ZF in Saarbrücken die Luft, die es brauche, um in den kommenden Jahren die Wende vom Getriebestandort zum Elektromobilitäts-Standort zu schaffen. Denn der Betriebsrat konnte in den Standortverhandlungen erreichen, dass bereits jetzt schon zukunftsträchtige E-Produkte für den Standort Saarbrücken zugesagt wurden.

Diese Wende ist mit zahlreichen Veränderungen für die Belegschaft verbunden, räumt Betriebsrat Buchholz ein. So wird man zu neuen Schichtmodellen kommen müssen, um die in den Verhandlungen erreichten zusätzlichen Auftragseingänge, verbunden mit den Maschinenlaufzeiten, besser steuern zu können. Bisher wurde die Wochenendarbeit am Samstag und Sonntag je nach Bedarf in Form von freiwilliger Mehrarbeit gestemmt. In der Übergangsphase vom Verbrenner zur Elektromobilität ist jedoch daran gedacht, in Zeiten der Spitzenauslastung mit bis zu 20 Schichten pro Woche zu kalkulieren. Derzeit arbeitet das Werk noch montags bis freitags mit 15 Schichten jeweils in Früh-, Mittags- und Spätschicht. Bisher habe es im Rahmen der freiwilligen Mehrarbeit schon bis zu 18 Schichten gegeben, in Engpassbereichen auch darüber hinaus.

Die Möglichkeit flexiblerer Schichtmodelle wird notwendig, um die neu gewonnenen zusätzlichen Projekte von Automatikgetrieben bis etwa 2024/2025 bedienen zu können und dadurch Beschäftigung zu sichern. „Die Freiwilligkeit, wie wir sie bisher in der Produktion praktiziert haben, wird dann nicht mehr ausreichen und auch nicht mehr funktionieren. Der Großteil der Beschäftigten muss dann temporär in feste Schichtmodelle“, sagt Buchholz.

Bis dahin soll der Transformationsprozess in Saarbrücken so weit fortgeschritten sein, dass die dann zurückgehende Getriebeproduktion mit Produkten im Rahmen der E-Mobilität kompensiert werden kann.

ZF-STANDORT SAARBRÜCKEN MIT ALLEINSTELLUNGSMERKMAL INNERHALB DES KONZERNS

Schon heute verfüge der ZF-Standort Saarbrücken innerhalb des gesamten Konzerns über Alleinstellungsmerkmale, die ihm das Überleben zusätzlich erleichtern. So sind zahlreiche Fertigungsteile exklusiv festgeschrieben, die für alle Werke verbindlich aus Saarbrücken kommen. Dazu gehört zum Beispiel die Mechatronik im Getriebe. Das ist die Steuerungseinheit im Getriebe, sozusagen das Gehirn. Das Gleiche gilt für die Antriebswelle. „Gerade für diese weltweite Versorgung mit Teilen spielen die Schichtmodelle eine große Rolle, da diese Teile in jedem Getriebe enthalten sind“, betont Betriebsratschef Kläs. Der große Vorteil von ZF in Saarbrücken bestehe darin, dass der Konzern in diesem Standort die Kompetenz als Systemlieferant sieht, also den Garant dafür, dass hier verschiedene komplexe Systeme zusammengebaut werden können. Das bedeutet, dass verschiedene Komponenten wie zum Beispiel Elektromotoren, Zahnräder, Mechatronik und Achsen im Werk Saarbrücken zusammengeführt, aufeinander abgestimmt und komplettiert werden.

ZF Saarbrücken verfügt aber auch über herausragende Kompetenzen in der Verzahnungstechnologie und ist nach Überzeugung von Kläs in der Lage, Teile für andere Antriebskonzepte außerhalb der PKW-Branche zu fertigen. Es ist deshalb nach Überzeugung des Betriebsrates wichtig, mit der Akquise entspechender Aufträge fortzufahren.

Der Betriebsratschef geht zudem davon aus, dass man in etwa zwei Jahren generell mehr Planungssicherheit hat. Denn bis dahin seien sich die meisten Autohersteller auch darüber im Klaren, mit welchen Modellen sie in die Elektromobilität starten wollen. ZF wiederum habe schon früh erkannt und auch beschlossen, auf diesem Markt mitspielen zu wollen. Auch bei den Standortkosten sieht Kläs der Standort Saarbrücken gut aufgestellt im Vergleich zu anderen Regionen. Saarbrücken zähle zu den produktivsten Werken innerhalb des ZF-Konzerns. „Wenn ZF Aufträge gewinnt, dann wollen wir, dass an den deutschen Standorten gefertigt und dadurch Beschäftigung abgesichert wird“, betont Kläs.

Um mehr Aufträge und damit Beschäftigungssicherung für den Standort Saarbrücken zu bekommen, hat der Betriebsrat einen zukunftsträchtigen Baustein auf den Weg gebracht. Zentraler Punkt ist hierbei ein „Zukunfts- und Innovationsfonds“, in den die Beschäftigten Geld einzahlen. Dieser Fonds ist zunächst befristet bis zum 31. Dezember 2025. Er soll dazu dienen, Großprojekte mit zu finanzieren, sollten diese an den Standort Saarbrücken kommen. Grundlage für ein solches Projekt ist die Vorlage von Wirtschaftlichkeitsberechnungen und Kennzahlen, die die Unternehmensleitung dann jeweils einem Steuerungskreis vorlegen muss. Diesem Steuerungskreis gehören in Saarbrücken auch Arbeitnehmervertreter an. Mit dem Fonds soll der Anreiz erhöht werden, Großaufträge mit einem hohen Volumengeschäft nach Saarbrücken zu bringen. Der Fonds sei jedoch keine Einladung an die Unternehmensleitung, Investitionskosten auf die Belegschaft abzuschieben. Er solle vielmehr für alle Beteiligten den Anreiz noch weiter erhöhen, zusätzliche Aufträge an die Saar zu bringen. In der ersten Phase wird der Fonds von neu eingestelltem Personal finanziell bestückt, da dies ja auch ihre eigenen Chancen auf eine langfristige Beschäftigung erhöhe. Kläs geht davon aus, dass der Fonds ein Erfolg wird. „Denn es gibt noch viele Aufträge, die es zu gewinnen gilt, die wir dann künftig wettbewerbsfähig in Saarbrücken fertigen können. Wir bleiben da kontinuierlich dran“, betont Kläs.

Zur Neuorientierung auf Elektromobilität sieht der Betriebsratschef keine Alternative. Der Verbrenner laufe definitiv aus. Und auch die Konzentration in diesem Bereich auf den Auslandsmarkt sei keine Option. Dafür schrumpfe dieser Markt zu stark. Jedoch sehen Kläs, Buchholz und Selzer den Standort Saarbrücken und seine Belegschaft mit der nun abgeschlossenen Vereinbarung für die Zukunft gut aufgestellt.

Autor: Thomas Sponticcia Redakteur Wirtschaft SAARBRÜCKER ZEITUNG
erschienen am 02.09.2022 um 21:08 Uhr
Quelle:
https://www.saarbruecker-zeitung.de/saarland/saar-wirtschaft/zf-saarbruecken-steht-vor-grossen-veraenderungen-mit-folgen-fuer-mitarbeiter_aid-75599503